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Interview zu Solidarischer Landwirtschaft in Brasilien & Deutschland

Für das Brasilisum #235 wurde die brasilianische Wissenschaftlerin Alanda Lopez zum Thema Solidarische Landwirtschaft in Brasilien und Deutschland interviewt. Alanda war für ihre Recherche im Sommer 2014 mehrere Wochen in Deutschland unterwegs und hat verschiedene Akteure der SoLaWi Bewgung befragt. Das Brasilisum #235  ist gleichzeitg auch Tagungsreader des Runden Tisch Brasilien der dieses Jahr die Frage nach dem "Abschied vom Wachstumszwang?" diskutiert. (21.-23.11, Naunhof, bei Leipzig)

 

Brasilicum:  Bitte stelle Dich kurz vor!
Alanda Lopez: Ich bin Geografin und promoviere gerade an der Universidade Federal Fluminense in Niterói, Rio de Janeiro. Momentan bin ich auch Teil des Kollektivs „Andere Ökonomien“, das an das Forschungsprojekt LEMTO über soziale Bewegungen und Territorialitäten, angeschlossen ist. Das Projekt wird von Professor Carlos Walter Porto-Gonçalves geleitet und bietet für Forscher*innen und Aktivist*innen Raum für Erfahrungsaustausch von Organisationsformen des ökonomischen Aktivismus.

    Du hast in Deutschland zu Solidarischer Landwirtschaft geforscht. Was hat Dich dazu bewegt?
Ich arbeite schon seit meinem Magisterabschluss zum Thema Agrarökologie. Bereits damals haben wir die sozialökologische Nachhaltigkeit des in Brasilien entwickelten Biolandbaus in Frage gestellt. Auch wenn wir auf der einen Seite Fortschritte gemacht haben, bezüglich der Produktion und der Wertschätzung des Wissens um alternative Methoden und Techniken, stehen wir auf der anderen Seite immer noch vor großen Herausforderungen, was eine sozial gerechte Entwicklung auf dem Land angeht. Ökonomische Eliten dominieren den Biolandbau sowohl auf Seiten der Produzent*innen als auch auf Seiten der Konsu-ment*innen. Der Zugang zu gesunden Lebensmitteln, der eigentlich allen Menschen garantiert sein müsste, ist letztlich beschränkt auf elitäre Marktnischen. Landwirtschaftliche Familienbetriebe sind angesichts der geschlossenen und bürokratisierten Kreise des Biolandbaus dazu gezwungen, nach konventionellen Methoden mit Agrargiften zu arbeiten. Es ist notwendig, die Prinzipien und Praktiken des landwirtschaftlichen Produktionssystems als Ganzes besser zu verknüpfen. Dazu gehört auch eine kritische Reflexion über die Beziehungen zwischen Konsument*innen und Produ-zent*innen sowie zwischen Stadt und Land.
Dem vor fünf Jahren in Brasilien gestarteten Projekt zur Solidarischen Landwirtschaft  (SoLaWi), liegt ein interessantes Konzept zu Grunde. Die Herausforderungen der Menschen, die auf dem Land produzieren, müssen mit den Ernährungsgewohnheiten der Gesellschaft verknüpft werden. In Brasilien befindet sich die sehr junge SoLaWi-Bewegung in einem Expansionsprozess und muss sich selbst nun Schritt für Schritt eine Kontur geben. Deutschland hat, im Vergleich zu Brasilien, schon viel mehr Erfahrungen mit Solidarischer Landwirtschaft gesammelt.

    Was hast Du in Deutschland vorgefunden? Und wie ist die aktuelle Situation der Solida-rischen Landwirtschaft in Brasi-lien? Wo siehst Du Ähnlichkeiten und wo Unterschiede?
In Deutschland hatte ich die Möglichkeit, verschiedene SoLaWi-Projekte kennenzulernen. Ich war in Freiburg, in München, Osnabrück und Berlin. Die Erfahrungen waren an jedem Ort sehr unterschiedlich. Sie spiegeln die Philosophie der Gemeinschaft wider, welche keine strenge oder normierte Organisationsform vorgibt. Das Profil der Mitglieder ist von Region zu Region aber auch innerhalb der Projekte sehr unterschiedlich. Die Motivationen sind sehr vielfältig: gesunde Ernährung, Umwelt, Ernährungssouveränität, bis hin zu politischem Aktivismus. Der Hauptantrieb der Leute liegt jedoch in der sozialen Anerkennung und Wertschätzung der Verflechtungen von Produktionsabläufen, Verteilung und Konsum. Die Gemeinschaft wächst mit dem Gefühl der gegenseitigen Verbundenheit zusammen – ausgestattet mit ethischen Koordinaten, die die Suche nach der Überwindung der Grenzen zwischen Konsum und Produktion sowie zwischen Land und Stadt leiten. Dieser Prozess ist auch in Brasilien zu beobachten.
Die Debatte um die Förderung von alternativem Landbau mit ökologischer Ausrichtung, der sich vom Mainstream abgrenzt, ist in Brasilien noch relativ jung. Projekte der Solidarischen Ökonomie finden immer mehr Gehör im Land, aber sie kommen meist aus Produktionssektoren wie Kunsthandwerk oder größeren Kooperativen. Der Austausch mit dem Landwirtschaftssektor ist noch im Anfangsstadium und oftmals voller Widersprüche. Deshalb versuchen wir uns nicht an den Begriff „Solidarische Landwirtschaft“ zu binden, sondern ziehen das Konzept der „Gemeinwohlökonomie“ (economias comunitárias) vor, das noch nicht von der Normierung durch die Regierung kooptiert wurde.

    Was hat Deine Forschung mit dem Thema degrowth zu tun?
Ich versuche in meiner Forschung einen Blick auf die sozioökonomischen Handlungen zu werfen. Diese basieren, im Gegensatz zum vor-herrschenden Produk-tionsmodells, auf ethischen Werten wie Solidarität, Gegenseitig-keit und Gemeinschafts-gefühl. Die sozioökono-mischen Handlungen bauen auf alternative Formen der Organisation, Produktion und Ver-teilung auf. Mit diesen Strategien werden alte Praktiken von neuen sozialen Mechanismen der Wiederaneignung der materiellen Grundlagen des Lebens abgelöst. Das aktuell gültige Ent-wicklungsmodell mit seinen massiven Aus-wirkungen auf Umwelt und soziale Gerechtigkeit wird in Frage gestellt. Die kritische Überlegungen rund um maßlosen Konsum und Vertei-lungsungleichheit der Gewinne, bringen zen-trale Fragen von de-growth an die Oberfläche und machen sie zu einem Horizont für andere Formen der Lebens-führung – nicht nur ökonomisch, sondern auch sozial und damit politisch.

* Fabian Kern ist Radiojournalist, Gründungsmitglied der GartenCoop Freiburg und arbeitet seit August 2014 bei KoBra e.V. in der Geschäftsstelle.
> Übersetzt aus dem brasilianischen Portugiesisch von Yôko Woldering.

Bilder: 


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