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Fleischatlas 2014: Gute Lebensmittel gesucht

Bewusste Verbraucher in der reichen Welt erwarten Fleisch von hoher Qualität aus umweltfreundlicher, artgerechter Produktion. Als bewusste Akteure im Nahrungsmittelsystem können sie auch „solidarische Landwirtschaft“ treiben.

Laborfleisch entfernt die Tiere aus dem Ökosystem mit dem Menschen
Im August 2013 wurde in London der erste „Labor-Burger“ serviert. Diese Substanz wird produziert, indem man aus einzelnen, einem lebenden Tier entnommenen Zellen Proteinstränge in einer Petrischale züchtet. Es wird ein großer Aufwand betrieben, um einen fleischähnlichen Geruchs-, Farb- und Textureindruck zu erreichen, der nach Aussagen der Hersteller in Blindverkostungen nicht von dem echten Fleisch zu unterscheiden ist. Der Grundgedanke ist, dem Verbraucher das Protein zu bieten, ohne Tier und Umwelt zu schädigen.

Von praktischen Fragen einmal abgesehen (dieser erste „Labor-Burger“ kostete in der Herstellung ca. 250.000 Dollar), bringt dieses Konzept auch grundlegendere Probleme mit sich. Auch wenn Geschmack und Textur weitgehend nachgeahmt werden können, bleibt bei dem „Fleisch“ aus dem Labor außer Acht, dass Tiere eine komplexe und wichtige Funktion in unserem Ökosystem wahrnehmen. So erreicht dieses Konzept einen neuen Höhepunkt in der Entfremdung des Menschen von seinen Nahrungsquellen und den natürlichen Abläufen, deren Teil wir alle sind.

Eine ökologisch vernünftige Landwirtschaft wäre eine bessere Alternative. Allerdings hat sie es schwer, mit industriellen Großerzeugern zu konkurrieren, die auf Geschwindigkeit und Menge setzen. Etikettierungen allein helfen da nicht. Labels, die den EU-Vorgaben für die Erfüllung von Biostandards genügen, enthalten oftmals nicht genügend Informationen, also zum Beispiel über Herkunft und Rasse des Tieres, Tierschutz, Schlachtungs- und Verarbeitungsverfahren sowie Angaben zur Lagerung und Zubereitung des Fleisches. Damit Produkte wettbewerbsfähig werden, müssen sie sich von der Masse derjenigen abheben, bei denen grundlegende Fragen unbeantwortet bleiben. Die Produzenten müssen das Informationsbedürfnis ihrer Kunden ernst nehmen.

Vor einigen Jahren wurde der Begriff des „Mitproduzenten“ geprägt, um die Macht des Verbrauchers über eine rein passive Rolle hinaus zu definieren und zugleich darauf hinzuweisen, dass er ein aktiver und einflussreicher Beteiligter am Produktionsprozess sein kann. Der Mitproduzent ist ein bewusster Akteur innerhalb des Nahrungsmittelsystems, der auf der Grundlage von Informationen, wer Lebensmittel wie produziert, seineEntscheidungen trifft.

Dies wird mit dem Modell der „solidarischen Landwirtschaft“ in die Praxis umgesetzt. Diese Idee, die in den USA als „Community Supported Agriculture“ (CSA) bekannt wurde und schnell populär geworden ist, sichert den Landwirten ihr Auskommen und unterstützt auf diese Weise verantwortungsbewusste Praktiken, etwa extensive Weidetierhaltung. Eine Gruppe von Menschen garantiert dem Landwirt die Abnahme sämtlicher zur Jahreszeit verfügbaren Erzeugnisse, sei es Gemüse und Fleisch, Milchprodukte oder Honig. Darüber hinaus teilen diese Menschen das Risiko natürlicher Prozesse, etwa schlechter Ernten: Sie zahlen im Voraus und tragen so zur Finanzierung der Produktionskosten über die gesamte Produktionskette bei.

Dieses Modell gibt es bereits in mehreren Ländern: in Deutschland unter der Bezeichnung „Solidarische Landwirtschaft“, in Frankreich als „Association pour le maintien d’une agriculture paysanne“ und in Italien unter der Bezeichnung „gruppo di acquisto solidale“. Das Ergebnis ist eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. Der Kunde bekommt gute, frische Erzeugnisse. Er kennt ihre Herkunft und weiß, wie sie produziert wurden. Er lernt etwas über die Lebensmittel, die er konsumiert, und er erweitert sein soziales Netzwerk. Der Landwirt bekommt finanzielle und praktische Unterstützung und entwickelt eine Beziehung zu seinen Abnehmern. Die Landwirtschaft wird vor Marktschwankungen und der Ausbeutung menschlicher, tierischer oder ökologischer Ressourcen geschützt, denn geeignete Praktiken schützen Wasser, Luft und Boden.

Eine Änderung der Nahrungsmittelsysteme ist unerlässlich. Es sind dabei nicht allein die Großunternehmen, die die Regeln für den Lebensmittelmarkt festlegen. Unabhängige Erzeuger und informierte Verbraucher sind dazu ebenfalls in der Lage.

Den Artikel mit passenden Illustrationen und mehr Informationen rund um die Fleischproduktion gibt es im Fleischatlas 2014 (S.42) der Heinrich Böll Stiftung als PDF zum Download.



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by Dr. Radut