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Shitstorm gegen Saatgut-Verordnung

Will die EU die totale Saatgut-Kontrolle im Vorgarten? Die antieuropäische Online-Postille „Wirtschaftsnachrichten“ des ehemaligen Stern-Chefredakteurs Michael Maier hatten die Sache, wie das wohl ihre Art ist, grob übertrieben: Unter dem Titel „EU will Anbau von Obst und Gemüse in Gärten regulieren“ behaupteten sie, die EU Kommission wolle Privatgärtnern den Einsatz von Einheitssaatgut vorschreiben, der Anbau alter Sorten werde bald strafbar. Was wird die Europäische Kommission tatsächlich am 6. Mai vorlegen? Die letzte Fassung der geplanten Verordnung, die Europas Saatgut-Recht von Grund auf neu regeln soll, ist nicht bekannt. Ein Entwurf vom November vergangenen Jahres läßt freilich nichts Gutes ahnen.

Maiers Verschwörungstheorie blühte im Netz derart heftig auf, dass sich die EU-Kommission zu einem Dementi und Ilse Aigner zu markigen Worten genötigt sahen (siehe Nachrichten). Liberale überboten grüne EU-Abgeordnete mit wohlfeilen Versicherungen, den deutschen Kleingarten niemals nicht gegen Staatswillkür im Stiche zu lassen, dass es eine Freude war.

Auf den Kern der Sorgen, mit denen Maiers Shitstorm-Artikel spielte, hatten Saatgut-Initiativen zuletzt vor zwei Monaten in einem offenen Brief hingewiesen: Die Zentralisierung und Anpassung der EU Saatgutgesetzgebung droht in der Tat der Artenvielfalt auf dem Acker an den Kragen und den Saatgut-Multis um Monsanto, Syngenta, Pioneer, BASF und Bayer willfährig zur Hand zu gehen. Die sollen künftig die Prüfung ihrer Sorten, nach den Vorgaben der EU selbst erledigen können. Biozüchtern sollen wichtige Informationen über eingesetzte Züchtungs-Methoden (ausser direkter Gentechnik) vorenthalten bleiben.

Hohe Zulassungskosten, zentral gesteuerte Kontrollen und Dokumentationsaufwand sowie überkommene, industrielle statt agrarökologische Qualitätskriterien drohen kleinen und mittelständischen Züchtern, vor allem aber Bauern und Gärtnerinnen, die ihr Saat- und Pflanzgut selbst nachzüchten, vermehren, verbessern und austauschen wollen das Leben noch schwerer zu machen als bisher.

Wer Saatgut vermehrt und vertreibt, das nicht den EU-Vorschriften entspricht, müßte stärker noch als bisher mit privatwirtschaftlicher wie staatlicher Verfolgung und Verboten rechnen. Der teure Zulassungszwang und sture Einheitswahn, der theoretisch auch bisher bereits besteht, wurde bisher in der Praxis durch die Vielfalt der gesetzlichen Auslegung von bisher 12 EU Richtlinien in 27 nationalen Gesetzeswerken deutlich gemildert. Damit soll eine einzige EU-Einheitsverordnung, die unmittelbare Wirkung erzielt und ein deutlich gestärktes Europäisches Sortenamt jetzt Schluss machen.

Die Ausnahmen, von denen vollmundig die Rede ist, sind so eng und lebensfern gefaßt, dass sie schlussendlich kaum, für neue Sorten praktisch überhaupt nicht zum Tragen kämen. Kein Wunder übrigens. Die Expertin, die in Brüssel für das Gesetz und seine Schikanen die Feder führt, wurde dafür eigens vom halbstaatlichen Verband der französischen Saatgutindustrie, GNIS, der EU-Kommission zur Verfügung gestellt.

Auch wenn die Horrormeldungen von der verbotenen Frucht des alten Baumes und dem totalen Krieg gegen die landwirtschaftliche Artenvielfalt also nicht ganz korrekt sind, können sie doch auf ein buchstäblich überlebenswichtiges Problem aufmerksam machen und vielleicht sogar dazu beitragen, den Widerstand gegen die industrielle Saatgutkontrolle und ihre Helfer in Brüssel zu stärken.

In Deutschland hat Save Our Seeds zusammen mit campact dazu soeben eine Online-Petition an die EU Kommission gestartet. Auch in anderen EU-Ländern regt sich der Widerstand.



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by Dr. Radut